Wernigerode eine Stadt mit 32.000 Einwohnern, am nördlichen Harzrand gelegen, hier ist gelungen, was für Braunschweig nicht möglich scheint: Hydraulische Polleranlagen. In eindrucksvoller Weise wird die kleine und filigrane Fußgängerzone vom Durchgangsverkehr frei gehalten und die Aufenthaltsqualität und Verkehrssicherheit damit erheblich erhöht. Die Braunschweiger Stadtverwaltung sagt: Poller machen Ärger. In Wernigerode ist man überzeugt, und dass sich auch einiger Aufwand lohnt. Man hat mit einer beispielhaften Lösung das Thema gemeistert. Dabei ist inzwischen der Aufwand überschaubar: einmal eingerichtet, fallen nur wenige Stunden an, die Wartung kostet 2.500€, Reparaturen führt man selbst durch. Trotzdem leistet man sich Wernigerode eine hochwertige Lösung, die verschiedenste Fälle abdeckt. Für Städte wie Braunschweig wäre es einfach, Erfahrungen zu nutzen.
Wir haben Interviews geführt, mit Amtsleiter für Stadt- und Verkehrsplanung Michael Zagrodnik und mit dem Herrn der Poller, Henrick Günnel, aus dem Sachgebiet Straßenverkehr beim Ordnungsamt Wernigerode.
Die Stadt hat ein bemerkenswertes Verkehrskonzept für die Innenstadt beim Planungsbüro SHP Ingenieure in Hannover beauftragt, welches 2014 vorgestellt und danach umgesetzt wurde. Aber die Erfahrungen mit fußgängerfreundlichem Verkehr reichen viel länger zurück.
Michael Zagrodnik, Amt für Stadt- und Verkehrsplanung
Herr Zagrodnik, seit wann gibt es in Wernigerode Polleranlagen?
Das kann ich Ihnen nicht genau sagen, wann die hier eingeführt worden sind, die Polleranlagen. Da war ich auch noch nicht hier. Die Poller sind seit vielen Jahren da, werden auch mal für Baustellen außer Betrieb genommen, ansonsten sind sie regelmäßig in Betrieb.
Bei Ihnen hat das angefangen mit dem Prozess, die Innenstadt umzugestalten, Anfang der Jahrtausendwende, richtig?
Eigentlich ist es schon ein längerer Prozess seit 1990, mit dem damals möglichen Stadtumbau-Ost-Hilfen, Sanierungskonzepten etc. war man eben sehr bestrebt, auch den Straßenraum in Wernigerode auszubauen und aufzubessern, zu sanieren. Es war ja ein Riesen-Sanierungsstau da, nach der Wende, und da hat man sich natürlich auch gleich überlegt, wie kann man Fußgängerzonen sinnvoll erweitern, und dann Verkehrsströme soweit lenken, dass auch die Altstadt weiterhin funktioniert. Da fing das an, da wurde sukzessive bis vor ein, zwei Jahren, wo wir dann die untere Breite Straße fertig hatten, eigentlich die komplette Altstadt saniert.
Welche Vorbehalte gab es da, aus der Bürgerschaft oder von den Kaufleuten?
Weil ich nicht weiß, wann wir starteten, kann ich Ihnen auch nicht sagen welche Vorbehalte es gab, ich kann nur sagen dass der Prozess einer Fussgängerzone und damit Abkopplung des PKWs vom Haus, der begann schon viel früher. In den 80er Jahren gab es einen sehr “kümmerigen” Oberbürgermeister in Werningerode, der sich auch viel im Ausland aufgehalten hat, und Werningerode war wohl eine der ersten Städte in der DDR, die eine Fussgängerzone hatten. Nicht in der ganzen Größe wie heute, aber schon beachtlich.
Gab es bei den Pollern eine Vorbildlösung, wie kam man darauf?
Auch da kann ich Ihnen das nicht genau sagen, ich weiß dass unsere Kollegen viel unterwegs waren Anfang der 90er Jahre, auch in Niedersachsen, und sich da was angeschaut haben. Ich kann mir gut vorstellen, dass man da ein Vorbild hatte.
Mit welchem System werden die heruntergefahren?
Es gibt ein Schlüsselsystem, ansonsten kriegt man einen Zugangscode, vielleicht ist es auch eine Fernbedienung. Das kann aber auch das Ordnungsamt sagen, weil man das dort beantragen muss. Und man muss aber auch die Gründe darlegen, warum man denn in diese Zonen einfahren will. Wir haben ja auch andere Poller
Können Sie etwas zu den Kosten sagen?
Das ist eine Luxus-Lösung, das weiß ich, die kosten eine Menge Geld, und man überlegt sich schon sehr genau, ob man sowas einbaut, weil die Kosten nicht zu unterschätzen sind. Manchmal fällt auch ein System aus und dann bleibt es erst einmal abgesenkt. Insgesamt regelt das schon sehr gut die Verkehrsflüsse, die kann man da entscheidend lenken.
Wir haben sieben oder acht Anlagen.
Man muss eben sagen, die Werningeröder sind früher viel durch die Altstadt gefahren, haben viele Abkürzungen genutzt, und durch die Polleranlagen ist es eben gelungen, den Verkehr auf den Außenbereich zu konzentrieren.
Für die Detailfragen, rufen Sie ruhig mal beim Ordnungsamt an.
Vielen Dank für das Gespräch.
Henrick Günnel kümmert sich im Ordnungsamt Wernigerode um die Administration und Wartung der Poller. Für alle Fachfragen ist er der beste Ansprechpartner.
Fahrradstadt:
Sie haben ja schon viele Jahre dieses System der hydraulischen Poller. Da gab es sicher keine Patentlösung. Wie haben Sie dass erarbeitet?
Wir haben 2014 die erste Anlage diesen Typs installiert und davor drei oder vier Jahre lang Anlagen probiert. Das Probieren war nicht geplant, aber die erste Anlage, die wir 2010 angeschafft haben, war fehlerbehaftet, also nicht in dem Sinne, wie wir es uns vorstellen. Bei noch zwei anderen Systeme war es ähnlich bescheiden.
Bis wir dann in 2014 den Versuch mit einem Pollertyp gemacht haben von dem französische Unternehmen Sagem. Und seitdem haben wir dieses System und sind im Grunde davon überzeugt, dass das alles so in Ordnung ist.
Ja, das kann einen wirklich begeistern, wie das funktioniert. Aber wie werden die Poller gesteuert, woher weiß einer, wenn er herunterfahren soll? Ist es ein Transponder oder lässt man die eigene Telefonnummer eintragen?
Wir haben derzeit für die Lieferverkehre Zeiten ausgewiesen. Während dieser Zeiten senken sich die Poller automatisch ab, wenn ein Fahrzeug davor steht. Vor und hinter dem Poller sind unter der Oberfläche Kontaktschleifen, die signalisieren, es steht jemand vor der Anlage. Die Zeiten sind chargenweise über den Tag verteilt. Die daneben stehende Ampel signalisiert das mögliche Überfahren.
Man kann nur zu festen Zeiten ausfahren.
Dann aber auch ohne Schlüssel
Manche denken, sie können zu jeder Zeit wieder rausfahren, dem ist eben nicht so, man kommt auch nur zu den ausgewiesenen Lieferzeiten wieder raus. Wir möchten zu einer bestimmten Zeit auch die Ruhe im Fußgängerbereich haben. Das sagt die StVO aus, dass das der schützenswerteste Bereich ist und dann soll hier niemand durch die Gegend kurven. Das ist die eine Variante.
Die andere Variante ist mit einem Schlüssel so eine Feuerwehrschließung an der Multifunktionsäule, wo auch die Ampel integriert ist, enthalten. Damit kann man den Poller runterfahren lassen, dann bleibt der unten, und man kann ihn so schalten, dass er nach einer Befahrung selbstständig wieder hochkommt. Das kann man so mit der Schließung machen.
Kein Telefon, sondern mit Chipkarte, Fernbedienung oder Schlüssel
Und dann gibt es noch die Variante, da ist so ein Chipkartenleser dran, dass man mit einer Chipkarte die Poller öffnet – bedingt in dem Fall, dass ein Fahrzeug auf der Kontaktschleife steht, der Poller senkt sich nicht ab, wenn man den Chip vor den Chipkartenleser hält und kein Fahrzeug auf den Schleifen steht, also das ist aufschiebende Bedingung, dass ein Fahrzeug auf der Schleife steht, egal ob innen oder außen. Dann den Chip vorhalten, dann fährt das Fahrzeug durch und der Poller kommt dahinter wieder hoch. Das ist für eine Einmaligkeit. Das ist in der Regel für die, die bei uns hier im Fußgängerbereich Stellplätze nachweisen können. Die kriegen so ein Ding dann und dann haben wir noch Funkfernbedienungen.
Die haben in der Regel das Gartenamt und der Bauhof gerade für Winterdienst, dass die da schon ein bisschen weiter weg absenken können und dann mit der Schneelast quasi durch die Poller fahren können. Das ist die vierte Variante.
Gibt es auch Probleme, die immer wieder auftauchen?
Problem man klingt immer so negativ.
In unserer kleinen diffizilen Innenstadt haben wir zwei Anlagen, die Luftlinie so 30, 40 Meter auseinander liegen, und wenn man eine per Fernbedienung absenken will, dann senken sich aufgrund der Funkreichweite unter Umständen beide Anlage ab. Die bleibt dann natürlich nur so lange unten bis der nächste dann wieder über die Schleife drüber gefahren ist, dann geht die Anlage wieder hoch. Das lässt sich nicht verhindern.
Wir haben auch Anfahrunfälle, aber in der letzten Zeit Gott sei Dank nicht mehr. Wir haben ein paar Anlagen, wo Lieferverkehre vor den Anlagen parken müssen oder Taxihaltepunkte sind. Dort halten teilweise die Taxen auf den Schleifen.
Das hat zu Problemen geführt, weil Poller heruntergefahren sind, ohne dass dort jemand durchfahren wollte. An diesen Anlagen, wo das regelmäßig der Fall war, haben wir einen Druckknopf angebracht, und damit eine dritte aufschiebende Bedingung eingefügt. Hier müssen also drei Bedingungen erfüllt sein: A auf der Schleife stehen, B Uhrzeit ist Lieferzeit und C Druckknopf ist gedrückt worden. Dann ist das Überfahren aber trotzdem nur möglich, wenn das Lichtsignal grün zeigt. Es kam hierbei durch Unaufmerksamkeiten zu Unfällen. Wir konnten aber nachweisen, dass die Anlagen nicht die Ursache waren.
Wir haben einige Schlachten vor Gerichten ausgefochten, mit amtlich bestellten Gutachtern von der Dekra und dem TÜV. Und ich meine, wir haben bis jetzt noch keinen Prozess verloren. Ist natürlich immer sehr aufwendig und auch unschön. Aber manchmal muss es dann eben sein. Aber zuerst habe ich eine Verkehrssicherungspflicht. Deswegen findet zweimal im Jahr eine Wartung durch den Hersteller statt, wo die Poller auf Herz und Nieren geprüft werden. In den Prüfberichten geht hervor, was zeitnah oder mittelfristig erledigt werden muss, damit die Verkehrssicherungspflicht gewährleistet wird.
TÜV-geprüft: Keine Angst vor Gericht zu verlieren
Der Turnus mit zweimal im Jahr ist auch gerichtlich für ausreichend befunden worden, einmal im Frühjahr und einmal im Herbst. Und wenn zwischenzeitlich Störungen auftreten, dann wird das durch den Bauhof oder wen auch immer mitgeteilt. Nur wenn wirklich etwas diffizil ist und ich meine, das könnten oder sollten wir als Stadt nicht selber reparieren, dann muss die Herstellerfirma kommen. Die meisten Dinge reparieren wir selbst. Aber deswegen lasse ich mir da auch nicht irgendwie am Zeug flicken, dass da irgendwo einer ein Schlupfloch findet und sagt: „Das ist dilettantisch repariert worden“ oder ähnliches. Es ist eine Verkehrsanlage laut StVO, wie alles andere, was man so Straßenverkehr sieht und da wird das ordentlich repariert und dann ist das gut.
Dann braucht man auch keine Angst haben, vor Gericht zu müssen.
Können Sie etwas zu Betriebskosten sagen? Wie viel gibt es Fremdkosten, wie viele Arbeitsstunden pro Stück oder insgesamt? Haben Sie da irgendwas, was man jetzt so sagen könnte?
Ich habe wirklich keine Statistik dazu. Das einzige, was ich sagen kann, ist, dass wir zweimal im Jahr diese Wartungen durchführen. Einmal im Frühjahr, einmal im Herbst. Die Wartung an sich für unsere 8 automatische Anlagen und 5 halbautomatische Anlagen.
Halbautomatische Anlagen heißt, die Poller sind von Hand zu bedienen. In Nebenstraßen, wo wir möchten, dass keiner durchfährt, haben wir abgepollert mit dem optischen identischen System, aber anstatt eines vollautomatischen, elektrisch gesteuerten Poller ist da ein Poller mit Gasdruckfeder verbaut. Der kann für Bau- oder Veranstaltungen, wenn Baustellen sind oder Winterdienst, abgesenkt werden, in dem der Poller mechanisch entriegelt wird und man den unterdrückt, die Gasdruckfeder die darunter liegt wird runtergedrückt. Und wenn man die Durchfahrt nicht mehr braucht, löst man die Arretierung und er fährt wieder hoch. Sieht optisch genauso aus, ist aber nicht so technisch aufgepimpt wie die anderen.
Also für acht automatische Anlagen und fünf manuelle Anlagen haben wir einen Kostenrahmen, wenn die Wartung durchgeführt wird. Messen, prüfen, machen, tun, die kostet nicht einmal 2.500 € pro Wartung.
Und dann wird der Bedarf für Reparaturen festgestellt wird, dann ist das ein breites Spektrum, da muss mal der Motor ausgetauscht haben oder ein paar Schrauben, mal sind es die Führungsschienen, weil doch der eine oder andere vielleicht mal dagegen gefahren ist, der Poller zwar nicht abgebrochen ist, aber die Führungsschienen nicht mehr gerade hoch und herunter fahren. Da kommen dann immer die Materialkosten dann noch mit dazu.
Vorbehalte und Ängste gibt es sicher auch aufgrund der befürchteten Arbeitsstunden, die anfallen für die Zulassung vieler unterschiedlicher Nutzer.
Das ist am Anfang Prozess gewesen, herauszufinden, wer von den Trägern öffentlicher Belange braucht eine Fernbedienung, wer einen Schlüssel. Die Feuerwehr, die Polizei, ein paar hier aus dem Rathaus, die für Veranstaltungen zuständig sind, die haben zum Beispiel den Schlüssel, weil gerade auch bei der Einsatz von Feuerwehr macht es Sinn, die Poller abzusenken, damit dieser unten bleibt.
Rettungsdienst wiederum, die fahren rein, behandeln jemanden und fahren wieder raus, die nutzen einen Chip von uns. Die Kollegen vom Bauhof wiederum haben eine Fernbedienung, damit sie nicht ständig aussteigen müssen.
Die Anlieger bekommen von uns zum Beispiel so einen Pollerchip, die brauchen nichts anderes, sie brauchen weder einen Schlüssel noch eine Fernbedienung, auch wenn sie es gerne hätten. Denen reicht so ein Pollerchip. Allerdings brauchen die Anlieger erstmal eine Ausnahmegenehmigung zum Befahren der Straßen. Der Fußgängerbereich ist nur zur Lieferzeit befahrbar und ansonsten ist das eine gesperrte Straße. Die Anwohner haben einen Anspruch darauf, an ihre Grundstücke heran zu fahren. Für ein Befahren außerhalb der Lieferzeiten brauchen sie vom Landkreis die Genehmigung, die gesperrte Straße befahren zu dürfen. Dazu müssen sie einen eigenen Stellplatz nachweisen. Erst wenn Sie die haben, bekommen Sie von uns Schießtechnik, das ist die Maßgabe.
Jetzt wo alles verteilt wurde, es der Aufwand marginal, mal zieht der eine aus, gibt seinen Chip wieder ab, kriegt seine Kaution wieder, und dann kriegt ihn auch wieder jemand anders, der diesen Stellplatz dann erlangt hat. Aber das hält sich vom Verwaltungsaufwand in Grenzen.
Herr Günnel, wir bedanken uns ganz ganz herzlich für die Beantwortung der Fragen.
Das ist wirklich wunderbar, das ist einmal so zu hören.
Total interessant, vielen Dank!
Es gibt einige kleine Fehler in der Transkription, wirklich gestört hat mich aber nur, dass die Anwohner “Schießtechnik” bekämen