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Mysterium Mobilitätsentwicklungsplan

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Demokratie lebt vom Mitmachen. Die Braunschweiger Stadtgesellschaft auch. Beteiligungsformate gibt es einige. Doch zum Thema Mobilität ist die große Beteiligung bisher ausgeblieben. Zwar gibt es neben einer sehr vertrauensvollen Zusammenarbeit der Verbände bei der Radverkehrsplanung auch ein Beteiligungsformat zum Mobilitätsentwicklungsplan MEP für Verbände. Doch zu großer Zufriedenheit, Verständigung und Transparenz hat das bisher nicht geführt. Die Informationslage über den aktuellen Stand ist immernoch dünn.

Das Braunschweiger Forum kritisiert in einem aktuellen Papier vom 14.11.23 unter anderem, dass der MEP, erst im Jahr 2024 vorgestellt werden soll. Jetzt ist ein erster Entwurf mit einem Zielszenario im Ratsinfo eingestellt. Es soll im Mobilitätsausschuss des Rates am 06.12.23 Thema sein. Ziel sei es, bestimmte Maßnahmen zu prüfen. Von ursprünglich 200 sind nur noch 88 aufgeführt. Autoarme Quartiere? Anwohnerparkgebühren? Fallen weg. In der Vorlage steht beispielsweise auch, dass die Treibhausgasemissionen sich unabhängig vom Szenario nur um ca. 30% verringern (S.7 oben), aufgrund der großen Pendlerverkehre, welche eng mit der Siedlungsstruktur verbunden sind.

Die Vorlage bringt aber große Sorgen mit sich, ob das Radverkehr nach hinten geschoben und das Ziel 2030 aufgegeben wird. Handelt es sich nur um Verwaltungsdeutsch für “wir sind dabei”, oder lassen wir Ziele fallen? Hier zwei Ausschnitte daraus:

R1.3 Gesamtplanung des Radverkehrsnetztes wird bis 2035 priorisiert begonnen

R1.3.1 “Planung und Umsetzung der Velorouten werden bis 2035 begonnen”

Umbau bestehender Radwege zu Velorouten: Nur wo ist das Netz?

In den Mobilitätsverbänden war die ganze Entwicklung über viele Monate mit Sorge gesehen worden, insbesondere weil vom Chef der Verwaltung, OB Dr. Kornblum, kaum Signale für ein entschiedenes Eintreten für den Radverkehr kamen. Der Leipziger oder der Hannoveraner OB sind hier ganz erheblich stärkere Gegenbeispiele. Der Koalitionsbruch in Hannover kann einem Angst machen, doch auch die SPD wird dort nicht in die 1970er Jahre zurück können.

Diese Angst kann Stadtbaurat Leuer noch am heutigen Freitagnachmittag im Expertenkreis nehmen: Es sei eine unglückliche Formulierung, begonnen werde natürlich längst, man sei ja schon dabei. Auf einen Zeitplan legt sich die Verwaltung nicht fest. Sorge macht aber nicht nur der Radverkehr. Nach vielen Beteiligungen und Jahren der Vorplanungen zum Ausbau der Stadtbahn sind exakt 1.000m fertig geplant: die neue Schleife in Volkmarode. Für hochgradig sinnvollen Strecken wie die westliche Innenstadtumfahrung, Rautheim mit dem neuen Baugebiet und auch Salzdahlumer Straße ist noch völlig offen, wann sie gebaut werden, sicher ist nur: vor 2026 wird es nichts.

Die Verwaltung möchte für alle Bürger da sein.
Sie hat den Auftrag, das Thema umweltfreundliche Mobilität, auch Verkehrswende genannt, voranzubringen. Veränderung erzeugt Widerstand. Niemand möchte sich dem geballten Hass von Wutbürgern aussetzen. Ob mit dem Ziel an sich gefremdelt wird, lässt sich nur mutmaßen. Wir wissen auch, dass die Bürokratie mit tausenden Bestimmungen hinderlich ist und wertvolle Zeit kostet.

Beispiel Grünewaldstraße
Beim Bahnübergang Grünewaldstraße, eine Stadtteilposse, wurde überraschend undeutlich: Hier ist man sich innerhalb der Verwaltung uneins. Burkhard Wiegel, Chef des Tiefbauamts sagt dazu, man habe innerhalb der Stadtverwaltung sehr unterschiedliche Ansichten gehabt.

Dabei bleibt aber unerwähnt, dass die überwiegenden Fakten für die kreuzungsfreie Lösung sprechen, unter anderem aufgrund des von der Stadt nicht leicht zu bewältigende Planungsaufwands für Alternativrouten, oder auch die Verkehrssicherheit an sich. Die Unterführung ist ein Angebot der Bahn, was die Stadt schlecht ablehnen kann. Abgesehen von der Raumordnung: Die Bahn plant, baut, und zahlt.

Die 5 Million € Tabelle – Ausschnitt aus der unschlüssigen Beschlussvorlage, S.7

Mit einer lapidaren Tabelle mit Plus und Minuspunkten sollen Konsequenzen der einen oder anderen Lösung verdeutlicht werden. Dabei ist für den Fall des Beibehalts des Bahnübergangs keinerlei Alternative für den Radverkehr angekündigt und auch keine Folge dargelegt. Der Bedeutung der Route für den Radverkehr entspricht dies nicht.

Als sicher kann man auch annehmen, dass am Ende vermutlich die Belange des Schienenverkehrs bei der SPD den Ausschlag gegeben haben dürften. Am Samstag vor der Entscheidung hatte es ein Treffen der SPD-Ausschussmitglieder mit dem Regionalverband gegeben. Der Regionalverband vertritt mehrere 100.000 Fahrgäste im Verbundgebiet mit 1.1. Mio Einwohnern.
Warum bei der Entscheidung von den Radverkehrsbeauftragten selbst dazu kein Wort kommt, lässt sich leicht erklären: Unterschiedliche Ansichten sollen nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Die Stadtverwaltung möchte mit einer Stimme sprechen.

Die Brücke auf dem Brodweg im Oktober 2023

Beispiel Brodweg
Am Brodweg war es zu einer etwa 1 1/2 jährigen Sperrung gekommen, also die Erneuerung des Brückenbauwerks. Der Plan war: Vor Beendigung der Baumaßnahmen und Wiedereröffnung des Verkehrs prüft man, ob die freie Durchfahrt für den motorisierten Verkehr -unabhängig von Einsatzfahrzeugen- verzichtbar ist.
Die Verwaltung hat auf diesen Beschluss nicht mehr reagiert. Die Straße wurde im Mai wieder für den Autoverkehr freigegeben. Als Radfahrer wird man aus dem nebenherfahrenden Autofenster gefragt, warum man nicht den Gehweg nutzt. Hallo?

Instapost der Grünen Ratsfraktion, Mai 2023
Auszug aus dem Statement der Grünen Ratsfraktion vom 17.05.23

Der Vorwurf seitens der Ratsfraktion der Grünen kam prompt: Hier ignoriert die Verwaltung eine Entscheidung des Stadtrats bewusst. Das war bereits bei der Verhinderung lokaler Verkehrsberuhigungsmaßnahme im Bezirksrat passiert. Der Bezirksrat 130 Mitte hatte die Unterbrechung für den Autoverkehr zwischen Wendentorwall und Fallersleber Torwall beschlossen, beides sind Fahrradstraßen. Die beauftragte Stadtverwaltung blockierte das Vorhaben mit einer Verzögerungsbegründung.

Die Kritik an beiden gegenübergestellten Beispielen war klar: Man überlässt das Feld der Politik, wenn es ungemütlich wird (Grünewaldstraße), und man macht andererseits durch eigenes Handeln oder Unterlassen selbst Politik. Das wäre aber nicht ungewöhnlich. Es beschreibt lediglich das Alltagsgeschäft. Der ausgebliebene Stadtbahnausbau produziert sicher langfristig mehr graue Haare. Und immerhin hat es der Brodweg in den MEP geschafft. Es soll geprüft werden, ob er nicht vielleicht doch verzichtbar ist, unter Berücksichtigung von Einsatzfahrzeugen:

Ein prominenter Weg: “K1.2 Prüfung der Notwendigkeit der Durchfahrsmöglichkeit des Brodwegs”

Ob mittels beweglicher Poller zur Durchsetzung der Maßnahme oder einer dauerroten Ampel, es gibt viele Möglichkeiten, diese Route lediglich für Anwohner und die radfahrenden Schüler der weiterführenden Schulen passierbar zu halten.

Beim Brodweg ist ein Detail noch interessant: Im Verlauf der Bahnstrecke sortierte man der Kreuzungsverkehr am Abzweig zum Hauptgüterbahnhof neu: Spurplan Abzweig Schmiedekamp. Dabei eine neue, dem Ringgleis folgende Querung für einem Radverkehr einzubauen, war sowohl in Verwaltung als auch in der Politik kein Thema.

Magniviertel: Fussgängerzone soll bleiben

Beispiel Magniviertel
Es war an der Zeit – für das Modellprojetzt “erweiterte Fußgängerzone” in Ölschlägern zwischen Ritterstraße und Schlossstraße. Hiermit konnte man nur gewinnen. Im Frühjahr war der Bereich temporär eingerichtet worden. Die Beibehaltung machte man von einem positiven Echo vor Ort abhängig. Und das kam prompt. Kaum jemand vermisst die wenigen Parkplätze auf der Straße Ölschlägern selbst, die sie bis zum Frühjahr 2023 noch hatte. Es gab Widerstände gegen den Wegfall, aber dem lässt sich mit Anwohnerparken gut begegnen. Inzwischen ist sogar Tempo 20 angedacht. Hier ist gelungen, die Bedürfnisse der Bewohner und der Besucher und Gäste zu vereinen und zugleich, das Stadtviertel behutsam weiter zu entwickeln.

Fazit:
Das abstrakte Thema Verkehrswende wird schnell konkret, wo der Platz für das eigene Auto wegfällt.
Noch gelingt es vielen Menschen, das Thema Klima zu ignorieren. Als Stadtverwaltung möchte man möglichst wenig Angriffsfläche bieten. Veränderungen und Vorgehen müssen aber auch klar benannt werden. Innerhalb der Stadtgesellschaft wird auch weiterhin eine starke und entschiedene Politik für den Radverkehr gebraucht. Denn noch sind kaum Arbeiten umgesetzt. Und erst die gelungene Umsetzung wird Bürger bewegen zu sagen: bitte mehr davon!
Einen Rückschritt wie in Berlin mit der autogerechten Stadt wäre zu vermeiden.

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