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Vier Jahre Ratsbeschluss zum Radentscheid: Ein Zwischenfazit

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Vier Jahre sind vergangen, seit im Juli 2020 der Rat der Stadt Braunschweig ein umfangreiches Paket an Maßnahmen für den Radverkehr beschlossen hat: Den sog. Ziele- und Maßnahmenkatalog “Radverkehr in Braunschweig”. Mit diesem wurden wesentliche Ziele des zur Prüfung eingereichten Bürgerbegehrens “Radentscheid Braunschweig” direkt politisch übernommen. Es ist Zeit für ein Zwischenfazit.

Anlass war der im Mai herausgekommene Kompaktbericht für den Radverkehr, den die Stadtverwaltung halbjährlich erstellt. Er ist auf dem Bearbeitungsstand 31.03.2024 datiert. Darin ist zum Stand der Umsetzung zu jedem einzelnen Punkt ein prozentualer Umsetzungsstand mit Erläuterungen enthalten. Beginnend mit Radverkehrsfurten an Kreuzungen, Planung Veloroutennetz, Standards für Radwege und für Fahrradstraßen, Fahrradabstellanlagen, Qualitätsoffensive für Radverkehr, Optimierung von Ampelschaltungen bis hin zu automatischer Radverkehrszählung und Beleuchtung von Radwegen.

Der Kompaktbericht liefert eine gute Grundlage, die erreichten und auch die ausstehenden Ziele einzuordnen.

Eine Stellungnahme von Fahrrad- und Mobilitätsverbänden thematisiert nun deren Sicht zur Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen (M.XX) und gibt konkrete Anmerkungen zu diesen. Am 26.08.24 übersandten ADFC, Initiaitve Fahrradstadt Braunschweig, VCD sowie die BI Völkenrode die gemeinsame Stellungnahme mit dazugehörigen Fragen sowohl an die Stadtverwaltung als auch an die Ratsfraktionen.

Die Stellungnahme der Verbände

Qualität im Neubau ohne Radentscheid undenkbar

Ausdrücklich positiv wird begrüßt, dass Neu- und Umbaumaßnahmen von einer Qualität angeschoben wurden, die ohne Radentscheid undenkbar waren. Das erzeugt die Frage, warum solche basalen Beschlüsse überhaupt und nur für das Stadtgebiet gültig erkämpft werden mussten. Die Diskrepanz zwischen unserem heutigen Straßenbild und unserer sprichwörtlichen deutschen Präzision könnte kaum größer sein. Ein Land, welches eine von hochwertige Industrieprodukten geprägten Wirtschaft hat, in tausenden Gesetzen und Vorschriften bürokratisch gefasst, bekommt es über Jahrzehnte nicht hin, anständige Radwege zu bauen. Wie war es möglich, dass ausgerechnet in Deutschland, wo vermeintlich alles geregelt ist, Radwege mal 60cm, mal 2 Meter breit sind und oft im Nirgendwo enden? Das sind blinde Flecken unserer Gesellschaft.

Zeitplan unklar und Personalaufstockung nicht ausreichend

In der Umsetzung der numerisch greifbaren 35 km Velorouten-geeigneter Radwege (“Braunschweiger Standard”) – also der beste kommunale Standard zu bauen. Die Zahl war nicht ganz niedrig, aber auch nicht zu hoch angesetzt. Von diesen 35 km sind aktuell genau 1,75 Kilometer gebaut. Das bedeutet: In Zukunft müsste jährlich wesentlich mehr gebaut werden, um das Ziel nur in etwa zu erreichen. Auch bei allen weiteren Maßnahmen wird zwar je ein Datum mit Maßnahmenbeginn genannt wird, jedoch noch keines zur Fertigstellung. Deutlich wird, dass die Personalaufstockung seit 2020 “offensichtlich nicht ausreichend” ist um bis 2030 die Maßnahmen beschlussgemäß abzuschließen.

M.3 Nach vier Jahren: keine Abstimmung zum Veloroutennetz

Die Verbände bemängeln, dass es nach vier Jahren noch kein abgestimmtes Zielnetz der Velorouten gibt. Eine Abstimmung mit den Verbänden ist aber im Ratsbeschluss eindeutig festgehalten. Als Erklärung dient derzeit, dass das Radverkehrsnetz eine Ableitung des große Mobilitätsentwicklungsplan MEP sein soll. Nur erfüllt das darin enthaltene Netz mancherorts die Kriterien für Anbindung und Verknüpfung der Stadtteile nicht. Auch genügt es nicht, um zu erklären, warum die seit zwei Jahren vorliegenden Planungen, von einem externen und nicht in Braunschweig ansässigen Planungsbüro erstellt, aber von diesem trotz mehrfacher Nachfrage nicht mit den Radverbänden vor Ort besprochen werden. Gelegentliche Austauschtermine mit der Verwaltung gibt es hingegen und die Zusammenarbeit kann man als respektvoll und konstruktiv bezeichnen.

M.8 In der Umsetzung von Zielen meilenweit entfernt

Das Ganze wäre kein Problem, wenn kilometerweise fertig abgestimmte Planungen vorlägen. Das ist allerdings nicht der Fall. Beschlossene Vorhaben wie die erste Veloroute Nummer 4 Helmstedter Straße umfassen nur wenige Kilometer. Zum “Lückenschluss Wallring” (Löwenwall bis Europaplatz) sind noch keine Pläne bekannt, schlimmer aber der Eindruck, man wolle hier auf absehbare Zeit gar nicht tätig werden. Dabei gehört gerade der Bruchtorwall zu den hochfrequentiertesten und zugleich schlimmsten Radwegen der Stadt.

Schematische Darstellung zum Stand angestrebten Veloroute “Wallring”
Noch immer unterirdisch: der Radweg entlang der südlichen Innenstadtumfahrung Bruchtorwall

Die zweite radiale Veloroute, nach dem Zifferblatt nach #8, wird derzeit im Korridor-Verlauf abgestimmt und dem Rat vorgeschlagen. Nur, woran aktuell gearbeitet wird, ist unbekannt. Nur mit sichtbaren Umbaumaßnahmen demonstriert man eindrucksvoll, die Ziele auch noch erreichen zu wollen.

Nach der Abstimmung einer halben Veloroute müde geworden?

Der Bericht bemängelt auch, dass zwar vieles begonnen wurde, aber ein Datum zur Fertigstellung konsequent nicht angegeben wird. Darunter – ein Konzept zu wettergeschützten Fahrradabstellanlagen in Wohngebieten. Das ist sicherlich kein leichtes Thema. Doch der öffentliche Raum gehört uns allen. Immerhin > 800 Stellflächen für Fahrräder wurden bereits geschaffen, 153 in Wohngebieten, davon allerdings genau Null überdacht.

M.10 Fahrradabstellanlagen in Wohngebieten: Kein Konzept

Es ist normal, sein Auto kostenlos oder mit Anwohnerparkausweis am Straßenrand parken zu können. Fürs Rad ist das faktisch nicht möglich. Vermieter verhindern Fahrradgaragen auf privatem Grund aktiv (vonovia) oder werden gesetzlich daran gehindert (Bsp. Abstandsregeln im Vorgarten). Der Fahrradkeller ohne Rampe ist -obwohl ungeeignet- oft noch der Normalfall. Bis heute ist kein Konzept zu überdachten Fahrradabstellanlagen in Wohngebieten vorgelegt worden. Dabei gibt es vielerlei Möglichkeiten dazu, wie andere Kommunen zeigen.

M.18 Bürgerbeteiligung bei Planungen eingefordert

Bürgerbeteiligung: kostet Geld, aber schafft Transparenz und Akzeptanz in der Gesellschaft

Die Radverkehrsverbände bemängeln, dass es Bürgerbeteiligungen bei Radverkehrsprojekten bisher nicht gegeben hat. Als Beispiel wird die erste Veloroute, Helmstedter Straße angeführt (zu der es zwar eine Informationsveranstaltung), aber auch die fehlende Beteiligung und Öffentlichkeit zu den geplanten Radverkehrsnetzen. Künftig sollten die Chancen der Bürgerbeteiligung klarer gesehen und die Aufwände dafür eher als Gewinn für unsere demokratische Gesellschaft betrachten werden.

Kommunen müssen widersprüchliche Gesetzgebung ausbaden

Das sind nur einige Beispiele aus dem Kompaktbericht. Nun mag man entgegenhalten: Viele der im Ratsbeschluss enthaltenen Maßnahmen sind Theorie, und der Ausdruck eines Ratsbeschlusses, mehr nicht. In der Praxis haben es die Kommunen mit sich überlagerne Krisen zu tun – die Krise im Einzelhandel, öffentlicher Nahverkehr, der unter anderem aufgrund der räumlichen Struktur (“Einfamilienhäuser”) Beihilfen braucht, während gleichzeitig Straßen kostenlos zum Parken als gegeben hingenommen werden, niemand von Subventionen in Millionenhöhe spricht. Aber: Der Radverkehr kostet fast nichts im Vergleich zu den riesenhaften Kosten anderer Verkehrsträger, er bringt hingegen enorme Gewinne für die Gesellschaft.

Klarstellen: Radverkehr bedeutet Gewinn für alle

Der Bund unliebsame und wirkmächtige Aufgaben zum Klimaschutz delegiert, aber zugleich ein enges Korsett unterschiedlichster Gesetze geschaffen, welches eine einfache Umsetzung maßgeblich verhindert. Lärmschutz und das Straßenverkehrsrecht im übertragenen Wirkungskreis bei Fernstraßen, Angst vor aufgebrachten Anwohnern, umständliche und nicht immer gerichtsfeste Begründungen für angeordnete Begrenzungen wie Tempo 30. Es spricht vieles dagegen, wenn man Dinge verändern will. Wer aber Politik mitgestaltet – wie unsere Verwaltung mit ihrem Oberbürgermeister Dr. Thorsten Kornblum, der darf auch etwas wollen. Die Braunschweiger Radfahrenden erwarten in der Zukunft mehr als Aufrufe am Ringgleis: “Habt einander lieb und nehmt Rücksicht.” Wir erwarten spürbare Veränderungen auf den Wegen durch die Stadt.

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