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Gliesmaroder Bahnhofsplatz fertig

Viele Stücke ergeben kein Ganzes: Alle 50 m eine andere Radverkehrsführung

An der neuen ÖPNV-Haltstelle halten nun nicht nur Bahnen, sondern auch Busse.

Nach über einem halben Jahr Bauzeit wurde der Vorplatz des Gliesmaroder Bahnofes inklusive neuer ÖPNV-Haltestelle vor kurzem fertig gestellt. Ziel der Stadt war, hier einen “Mobilitätsverknüpfungspunkt” einzurichten, der Stadtbahn, Busverkehr, Eisenbahn, Radverkehr und Fußverkehr verknüft und komfortables Umsteigen ermöglicht. Während der ÖPNV stark profitiert und nebenan gerade neue Bahnsteige für die Eisenbahn entstehen, wird Kritik an lückenhafter Radinfrastruktur laut.

Konstruktive Verbesserungsvorschläge wurden ignoriert

Die Pläne für den Umbau lagen zuletzt seit 2018 Jahre in der Schublade und wurden offenbar kaum mehr überarbeitet. Das erklärt auch, warum vom Einfluss des Rats-Radentscheides vom 14. Juli 2020, in dem unter anderem durchgehende, von Fuß- und Kfz-Verkehr abgetrennte Radwege beschlossen wurden, noch nichts sichtbar ist. Abgezeichnet hatte sich zudem, dass frühe konstruktive Vorschläge aus Verbänden, wie die Radverkehrsführung hier zu verbessern wäre, überhaupt nicht berücksichtigt wurden (siehe am Ende des Beitrags).


Das Gute

Ringgleis sieht hübsch aus und soll weitergebaut werden

Das Ringgleis quert den Bahnhofsplatz. In Rot die geplante Weiterführung. Da zuerst Grundstücke gekauft und geräumt werden müssen, ist offen, wann es weitergeht.

Überdachte Abstellanlagen

Im neuen Fahrradparkhaus finden 56 Fahrräder wettergeschützt Platz.

Erstmals nahtlose, stoßfreie Rampe vom Radweg auf die Fahrbahn

Ein Detail, aber wichtig für den Komfort.

Das Mangelhafte

Keine durchgehende, separate Radinfrastruktur

Der Platz ist das Nadelöhr für den Verkehr im Braunschweiger Nordosten, hier konzentriert sich auch Radverkehr: Radwege entlang der Hans-Sommer Str./Berliner Straße, von Süden Radverkehr aus der Fahrradstraße Karlstraße, die Richtung Innenstadt führt, von Westen die Gliesmaroder Str. mit schmalen, aber doch sichtbar genutzten Radwegen.

Alle 50 m eine neue Führung

Mit dem Umbau des Platzes wurde es jedoch versäumt, einen Netzknoten mit durchgehender und für Rad fahrende Bürger attraktive Infrastruktur zu schaffen. Die vielen Einzellösungen wachsen nicht zu einem Ganzen zusammen: Hier gemeinsame Geh- und Radwege, da ein nicht von der Fahrbahn getrennter Radweg, Gehweg “Radfahrer frei”, dort ein stark verschwenkter, roter Radfahrstreifen. Es ist für uns unerklärlich, wie so ein Mischmasch es durch die Planung geschafft hat. Immerhin gibt es ja Leute, die damit beschäftigt, dafür bezahlt und in Verkehrsplanung ausgebildet wurden.

Aus der Hans-Sommer-Straße: Kein durchgehender Radweg stadtauswärts

Nadelöhr Bahnunterführung. Der Bahnhofsplatz befindet sich rechts hinter der Tankstelle.

Aus der Gliesmaroder Straße: Wahl zwischen Bürgersteig und Fahrbahn

Die Gliesmaroder Straße führt direkt auf den Bahnhofsplatz und die Eisenbahnbrücke zu. Im Zuge der Gleissanierung erhielt sie vor Jahren schmale, unscheinbar graue Radwege auf dem Bürgersteig. Weil sie durch das dichtbesiedelte östliche Ringgebiet führt, fahren dort trotzdem viele Menschen Rad. Eine durchgehende Radverkehrsführung “aus einem Guss” gibt es auch hier nicht. Da der Radfahrstreifen vor der Kreuzung nur sehr kurz ist, können die Radfahrenden, die lieber auf der Fahrbahn fahren, sich erst ganz am Ende einordnen und stehen davor mit im Stau.

Aus der Fahrradstraße Karlstraße über die Böcklinstraße: Fast in den Gegenverkehr

Von Süden mündet die Böcklinstraße in den Platz ein, über die man zur als Fahrradstraße (Kfz frei) ausgewiesenen Karlstraße kommt. Leider wurde die Einmündung zur Gliesmaroder Str. versetzt zur Abtstraße gebaut, so dass die Kreuzungsführung nicht gerade intuitiv gerät. Ob man dem roten Radfahrstreifen folgen soll, wird zudem nicht ganz klar, denn dieser kommt eigentlich aus der Gliesmaroder Str.

Es besteht großes Potenzial den Radschnellweg BS-WOB als Veloroute 2 Richtung Innenstadt über eine attraktiv ausgebaute Karlstraße weiterzuführen. Im Gegensatz zur Gliesmaroder Str. gibt es dort keinen Konflikt mit der Stadtbahn. Aus der Karlstraße könnte mit relativ wenig Aufwand eine grünere nur-Anlieger Fahrradstraße mit Vorfahrt werden, allerdings benötigt sie hier am Gliesmaroder Bahnhofsplatz eine intuitive und durchgehende Weiterführung stadtauswärts. Im Bebauungsplan ist bereits ein Durchstisch zwischen Karlstraße und Ringgleis festgesetzt, der perspektivisch realisiert werden könnte.

Vorsicht, geradeaus geht es in den Gegenverkehr. Die Straße verschwenkt nach rechts, die rot markierte Radfurt noch stärker.

Braunschweiger Rezept für Plätze: Radwege “auflösen”

In der Planung enden alle Radverkehrsführungen auf der Platzfläche oder gemeinsamen Geh- und Radwegen, zum Teil führen diese direkt neben der Haltestelle entlang, wo Fahrgäste ein- und aussteigen und Wartehäuschen zusätzlich die Sicht einschränken.

Warum wurde das so geplant? Die Stadt sagte 2018, die Verkehrssicherheit solle so verbessert werden:

“Im Umfeld des Bahnhofs Gliesmarode kreuzen sich viele Fuß- und Radverkehrsbeziehungen. Mit dem Auflösen der Wege im Verknüpfungsbereich wird eine Verkehrsberuhigung bewirkt, die die Verkehrssicherheit im zentralen Kreuzungsbereich erhöht.”

– Stadt Braunschweig Quelle: “Mobilitätsverknüpfungspunkt Bahnhof Gliesmarode” inkl. Auswertung der Informationsveranstaltung im Ratsinformationssystem

Dieser Maxime folgend wurden in den letzten Jahren an zentralen Plätzen absichtlich keine oder fast unsichtbare Radwege angelegt und dabei die Radfahrenden lieber erst gar nicht gefragt. In sog. “Shared Spaces”, meinten Stadtgestalter, würden sich Fuß- und Radverkehr schon irgendwie vertragen. Allerdings war dieses niederländische Konzept eher für Ortsdurchfahrten und Nebenstraßen gedacht, nie für stark genutzte Verkehrsknotenpunkte. Auffällig ist, dass sowohl hier, wie am Schloss, am Ägidienmarkt und eventuell am geplanten neuen Hagenmarkt, wo das Planungsbüro ebenfalls keine baulich getrennten Radwege darstellen wollte, der Kfz-Verkehr seine Fahrbahn behielt und so effektiv Rad- und Fußverkehr gegeneinander ausgespielt wurden.

Zwei neue Querungen, die nicht durchdacht sind

Ringgleis-Querung trotz viel Verkehr ohne Ampel

In diese Richtung soll das Ringgleis irgendwann mal verlängert werden. Hierfür müssen zuerst Garagen abergerissen werden.

Für das großzügig dimensionierte Ringgleis wurde eine neue Querung angelegt. Später soll es hier gerade nach Norden verlängert werden. Gegen Querungen ohne Ampel ist erstmal nichts einzuwenden: Häufig findet sich eine Lücke im Verkehr, durch die man schneller und flexibler über die Straße kommt, als durch Warten auf Grün. Hier jedoch quert das Ringgleis eine vielbefahrene Hauptverkehrsstraße, sodass man oft lange warten muss und die Querung zeitweise auch zugestaut ist. Eine andere Lösung für solche Situationen wäre eine “Schlafampel”, die regulär aus ist und die man aktivieren kann, wenn das Warten zu lange dauert.

Eine Ampel findet man jedoch an der zweiten, etwas versteckt liegenden Querung.

Zweite Querung ist unnötig komplizert

Blick nach Norden auf das im Bau befindliche “Quartier Berliner Straße”. Im Vordergrund die große Umlaufsperre.

Die zweite, parallele Querung östlich der Bahnbrücke liegt hinter einer Umlaufsperre und spart an dieser Stelle nicht wirklich Wege im Vergleich zum Ringgleis ein. Ohne Umlaufsperre hätte man hier trotzdem eine schöne Verbindung stadtauswärts. Wenngleich die Ampel beim Ringgleis wohl besser aufgehoben gewesen wäre. Gedacht ist die Querung laut Unterlagen für die Anbindung des Radschnellweges BS-WOB (links am Gebäude vorbei). Allerdings ist noch völlig offen, ob dieser überhaupt genau hier entlang führen wird. Wenn, dann müsste für eine Durchbindung Richtung Stadt auf jeden Fall wieder umgebaut und mindestens die Umlaufsperre entfernt werden.

Das Unberücksichtige: Konstruktive Vorschläge

MoVeBS und der ADFC hatten rechtzeitig versucht, Kritik in den Planungsprozess einzubringen. Die Vorschläge fanden jedoch kein Gehör bei der Stadtverwaltung.

Der ADFC hat unter anderem bemängelt, dass der Radweg an der Hans-Sommer-Straße zwischen Ringgleis und Abtstraße stadteinwärts für Zweirichtungsverkehr im Zuge des provisorischen Ringgleises zu schmal ist. Bis zum Weiterbau des Ringgleises gibt es somit keine intutive Führung nach Süden. Eigentlich müssten Radfahrende nun aus der Abstraße, die auch durch Schüler aus der nahegelegenen Ricarda-Huch-Schule und Studenten viel genutzt wird, geradeaus über die Kreuzung fahren und sich dort neu orientieren. Bei der Umsetzung der Planung sei zu erwarten, dass regelmäßig regelwidrig auf der linken Seite bis zum Ringgleis oder zum Radschnellweg gefahren werde. Man hätte sich eine Radverkehrsführung gewünscht, die auch Schüler dazu motiviert, sich regelkonform zu verhalten.

Auch hätte man eine Fortführung des Radschnellweges Richtung Zentrum berücksichtigen sollen, wofür gemeinsame Geh- und Radwege ungeignet seien.

Planung von 2018, die fast genauso umgesetzt wurde. Eine Parkbucht nördlich des Platzes ist hinzugekommen, ein Teil des Platzes selbst wurde als Grünfläche angelegt. Bild: Stadt Braunschweig

MoVeBS hatte einen ganzen Alternativplan und detaillierte Anmerkungen zur offiziellen Planungen eingebracht. Der Vorschlag war natürlich nur eine Skizze und nicht mal für eine Übernahme 1:1 gedacht. Für viele Probleme wäre der vorgeschlagene durchgehende Zweirichtungsradweg in Ost-West-Richtung (s.o.) jedoch eine elegante Lösung gewesen. Damit hätte man dem Radverkehr über die Karlstraße (Fahrradstraße), die Gliesmaroder Str. und die Hans-Sommer-Str. eine attraktive, klar erkennbare Führung angeboten, ihn gebündelt und vom Fußverkehr getrennt. Es ist kein Geheimnis, dass intuitive, durchgehende Führungen besonders attraktiv sind.

Auch auf der offiziellen Bürgerveranstaltung im Mai 2018 wurde unsererseits erneut auf unstete Radverkehrsführungen hingewiesen und auf den Umstand, dass eine Anbindung an einen geplanten Radschnellweg ironischerweise in einer Umlaufsperre endet.


Fazit

Alle Kritikpunkte, die wir hier formulieren, waren mehr als zwei Jahre vor dem Bau bekannt. Sie wären vermeidbar gewesen. Von Seiten des ADFC und MoVeBS wurden detaillierte und schlicht konstruktive Verbesserungsvorschläge und sogar ein Alternativplan gemacht. In diesem Detailgrad geht das weit über das hinaus, was ehrenamtliche Moblilitätsinitiativen normalerweise einbringen (können). Was hätte man mehr tun können? Der eine oder die andere wird sich fragen, ob konstruktives Engagement sich überhaupt lohnt, wenn auch kommunikativ so wenig passiert.

Nur die Stadtverwaltung kann Pläne festlegen. Sie steuert den Prozess, kann Dinge hinzufügen, verändern, streichen, bevor gebaut wird. Eventuell hätte die Politik hier eingreifen müssen, um der Verwaltung eine Maßgabe und ein Mandat für Überarbeitungen zu geben. So wurde eine große Chance an einem zentralen Ort vertan und unseres Erachtens nach Planungsmängel auf Jahrzehnte zementiert.

Deswegen ist es umso wichtiger, dass offener zwischen Politik, Verwaltung, Verbänden und auch interessierten Bürgern kommuniziert wird. Damit man zu besseren Ergenbissen kommt, braucht es a) Kanäle, auf denen konstruktive Kritik erwünscht ist und sogar abgefragt wird, muss diese b) die richtigen Personen erreichen, braucht es bei diesen c) Sensibilität und Handlungsbereitschaft, Abhilfe zu schaffen und d) brauchen die Projektverantwortlichen genügend personellen und finanziellen Gestaltungsspielraum um in der Lage zu sein, das Ergebnis verbessern zu können – um wenn nötig auch grundhaft umzuplanen.

Ein Gedanke zu „Gliesmaroder Bahnhofsplatz fertig“

  1. Die Stadtverwaltung besteht scheinbar fast nur aus Autofahrenden oder die haben tierische Angst vor den Autofahrern ??
    Anders kann ich mir die Führung des Radverkehrs nicht erklären.
    Mir fällt keine neugestaltete Kreuzung ein bei der der Radverkehr am Ende profitiert hat…. im Gegenteil.

    Die Stadt ruht sich auf dem Ringgleis aus, ist ein tolles Projekt und ich nutze es jeden Tag.
    Aber auch andere Radwege müssen besser werden. Nach wie vor ist der Radweg entlang des Bienroder Wegs und Bültenwegs eine absolute Katastrophe. Von den Ideen aus 2019 hört man gar nix mehr. Oder die Radwege entlang des Rings z.B. Hagenring/Altewiekring richtung Bahnhof. Das macht da echt keinen Spaß zu zu fahren.
    Platz für einen richtigen Radweg wäre durch reduzierung der Parkflächen definitiv da. Man müsste nichtmal eine Fahrspur streichen.
    Besonders in dem Bereich ist das Ringgleis nämlich auch keine Alternative zum Ring, da es viel zur Weit vom Ring entfernt ist und zu dem die Anbindung an den Hauptbahnhof mehr als mangelhaft ist.

    Ist halt alles nicht so wichtig… sind ja nur die Radfahrer.

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